24. Februar bis 7. April 2011

Monika Sennhauser, Daniela Gugg

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Wer von Ihnen vor einer Woche mit dem Astrophysiker Ben Moore auf die Reise zu den Rändern des Universums geflogen ist, dem blieben sicherlich die einerseits wunderschönen und zugleich unser Vorstellungsvermögen sprengenden Bilder und Theorien in bester Erinnerung. Die Veranstaltung von Karin Bühler, die am Schluss Zertifikate für unsere eigenen Fantasien ausstellte, bildete den Auftakt zur heutigen Ausstellung.

Egal zu welcher Zeit und in welcher Kultur, schon immer war der nächtliche Himmel dem Menschen ein unerschöpflicher Quell des Staunens und der Fantasie, eine unablässige Herausforderung für unseren Verstand, unabhängig davon ob Religion, Philosophie oder Wissenschaft die Existenz, die Regeln, das Entstehen oder die Entwicklung, die Vergangenheit und die Zukunft des Universums zu erklären suchten und suchen. Und jede Epoche entwickelte ihre eigenen, häufig widersprüchlichen Bilder und Theorien, die von nachfolgenden verworfen, oder übernommen und erweitert wurden. Auch für Spezialisten scheint das Geheimnis nicht gelüftet zu sein und nichts von seiner Faszination verloren zu haben.

 

Dieses Geheimnis und diese Faszination des Universums selbst und der Theorien ist Quelle für die Arbeiten von Monika Sennhauser und Daniela Gugg, deren Ausstellung wir heute eröffnen.

Sie wurden im Gang (und im Büro) empfangen von Sternenbildern, Fotografien von Monika Sennhauser (*1954, Niederuzwil, lebt in St.Gallen), die in Langzeitbelichtungen aus dem Fenster ihrer Wohnung in St.Gallen die Bahnen der Sterne aufzeichnete. Sie sehen, unsere Sprache hat mehrere Hundert Jahre des Wissens noch nicht integriert: noch immer sprechen wir vom Lauf der Sonne, von Sternen, die am Himmel ihre Bahnen ziehen, obwohl wir wissen, dass vor allem wir es sind, die sich bewegen, auf der sich drehenden und die Sonne umkreisenden Erde…. Unsere Wahrnehmung zeigt uns etwas Anderes und das prägt stärker als alle wissenschaftlichen Erkenntnisse unser Denken.

Die Beobachtung des wandernden Lichtes durch Raum und Zeit, die Wandlungen und die Spuren, welche das Licht der Sonne und der Sterne auf die Erde werfen, verfolgt Monika Sennhauser seit vielen Jahren. In Versuchsanlagen und Zeichnungen hat sie diese Spuren beobachtet und festgehalten, sie reiste in den hohen Norden um ihre Studien unter anderen Bedingungen fortzusetzen. Ihre Arbeitsweise ist geprägt von der Gabe, inne zu halten, still zu sitzen und zu warten, geschehen zu lassen und zu beobachten. Nur in dieser eigenen Ruhe enthüllen die Dinge ihre Dynamik.

Dieses Innehalten und Schauen liegt auch ihren beiden Videoarbeiten zugrunde, die sie im nextex zeigt. In der Arbeit „High Noon Nr. 05 – Marfa – 28.1.2009 – realtime“ blicken wir aus einem dunklen Raum durch eine schmale Türe auf einen im hellen Mittagslicht liegenden Platz. Die Sicht ist beschränkt auf die relativ kleine, rechteckige Öffnung der Türe. Fast weiss scheint der Boden draussen. Der Horizont wird begrenzt durch eine Mauer, die Distanz dazu ist schwer abzuschätzen, ein Eindruck von Raumtiefe will sich kaum einstellen.

 

Wie nach einer Choreographie bewegen sich ab und zu Autos und Fussgänger über den Platz, sie sind immer nur für kurze Momente zu sehen. Ganz hinten fährt gelegentlich und meist langsam ein Auto oder ein Laster vorbei. Einmal erscheint das Heck eines Pick Up, fährt fast in Zeitlupe rückwärts in das weisse Feld, verschwindet, kommt nochmals, verschwindet und taucht in der Tiefe des Raumes wieder auf, bevor der Wagen davonfährt.

Es ist ein Tunnelblick, den uns die Künstlerin vorgibt. Wir blicken aus einem dunklen Raum hinaus, der grösste Teil des Bildes ist fast schwarz. Man nimmt Geräusche wahr, die aus dem Hinterraum kommen, ein Brummen, von einer Maschine, vereinzelt Stimmen. Man versteht jedoch nichts. Die Geräusche sind genauso unbestimmbar wie das was draussen vor sich geht.

Alles wirkt wie in Zeitlupe, es geschieht eigentlich nichts – und doch steht man gebannt vor dem Bildschirm und wartet.

Genauso wie man im Filmklassiker „High Noon“ von Fred Zinnemann wartet, ja wo das Warten zum Hauptmotiv des Filmes wird, wo das Warten die Ankunft des Zuges und des Schurken eine ganze Stadt auf die Folter spannt und in eine soziale Zerreissprobe zwingt. Was wir sehen ist allerdings sozusagen die Umkehrung des andern Filmes. Vor dem Bildschirm hängt ein Karton, dessen Proportionen der vorherigen Türöffnung entsprechen; er verdeckt den mittleren Teil des Filmes, den die Künstlerin vom Fernsehgerät aufgenommen hat, sodass dieses einen inneren Rahmen bildet. Faszinierend ist, dass die Abdeckung durch den Karton, trotz des eher kleinen Ausschnittes, fast das ganze Geschehen verdeckt. Man realisiert, dass die Kameraführung, die Inszenierung sich ganz auf die Mitte und auf eine absolut symmetrische Komposition konzentriert. In Grossaufnahmen stehen die Hauptpersonen immer in der Mitte, werden also unsichtbar. Spricht das Ehepaar Cooper – Kelly miteinander, trennt der Balken die hadernden Liebenden voneinander, sie stehen links und rechts davon als wäre es ein Möbel im Filmset. Es ist einerseits die Umkehrung des Marfa-Filmes und zugleich dessen Spiegelung, ist doch in beiden die Aktion auf dieses kleine mittlere Feld konzentriert. Besonders auffallend ist diese Betonung der Mittelachse, wenn die Kamera einer sich bewegenden Figur, z.B. Gary Cooper, folgt, erst vor dem nächsten Schnitt „verlässt“ er das Geviert des Bildes.

Es öffnet sich zwischen den beiden Arbeiten aber auch innerhalb jeder einzelnen ein Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit: Im Marfa-Film erkennen wir im dunklen Raum nichts, das ganze – sichtbare – Geschehen spielt sich in der Türöffnung ab. In High Noon ist dieser Umraum das Einzige was wir sehen, und doch herrscht der Eindruck vor, dass wir eigentlich nichts sehen, da das eigentliche Geschehen irritierenderweise fast immerzu verdeckt und unserem Blick entzogen bleibt.

 

 

Daniela Gugg (*1981, Stettfurt, lebt in Berlin) findet ihre Inspiration unter anderem in eben jenen Gefilden, in die uns Ben Moore vor einer Woche entführt hatte: es sind wissenschaftliche Grenzbereiche, wo sich empirisch nicht nachgewiesene Ansätze der Relativitätstheorie mit Science Fiction vermischen. Zur Zeit beflügeln insbesondere sog. Wurmlöcher  und die Raum-Zeit Falte ihre Fantasie.

Wurmlöcher, eigentlich die „Einstein-Rosen-Brücke“, benannt nach dem leichter verständlichen Bild des Wurmes, der sich durch einen Apfel frisst und somit zwei Seiten desselben Raumes verbindet, sind in Science Fiction Literatur und Filmen besonders beliebt als schnelle Passage durch den Raum. In der Ausstellung zeigt die Künstlerin eine kleine zweiteilige Arbeit, in der ein positiver und ein negativer Abdruck eines Holzwurmloches zu sehen ist. Die Arbeit mit dem Titel „Zwei Seiten desselben Raumes“ zeigt also die Innen- und Aussenansicht der Leere, des Nichts, das zugleich zwei Oberflächen des umgebenden Raumes (des Holzes, resp. des Papiers) verbindet und sichtbar macht.

 

Fragen nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Präsenz und Absenz, prägen auch die nächste Arbeit.  Als Daniela Gugg vor einiger Zeit ein Tagebuch ihres Grossvaters entdeckte, in dem eine leere Doppelseite dessen sechs Jahre im Aktivdienst von 1939-45 umfasst, interpretierte sie dies als eine Form von Raum-Zeit Falte.

Mit Raum-Zeit-Falte beschreibt man Bereiche, wo das Raumzeit-Gefüge instabil und unstetig geworden ist. Durch diese Falten können der Theorie nach andere Universen erreicht werden. Da Eintritts- und Austrittspunkt einer Raum-Zeit-Falte nicht identisch sein müssen, ist beim Durchqueren einer solchen Instabilität ein zeitverlustfreier Wechsel von einem Ort des Universums zum anderen möglich. (> www.perrypedia.proc.org)

Diese sechs Jahre, während derer das Leben ihres damals 25 jährigen Grossvaters aus der gewohnten Bahn und in existentiell bedrohliche Bedingungen geworfen wurde, hinterliessen in seinem Tagebuch einzig diese zwei leeren Seiten, als ob diese Zeit sozusagen weggefaltet, aus dem Fluss des Lebens heraus katapultiert und die Welt des Vorher mit jener des Nachher ohne Unterbruch aneinandergefügt worden wären.

In ihrer Arbeit „Zwischen den Einträgen (1939-1945)“ lässt sie nun ein Gerät eine weisse Seite in einem aufgeschlagenen Buch im Zeitraum von sechs Jahren umblättern. Eine nicht wahrnehmbare, sondern nur vorstellbare Bewegung spielt sich vor unseren Augen ab. (Mechanik Valentin Altorfer, Zürich – ein herzlicher Dank an dieser Stelle für die tatkräftige Hilfe auch beim Aufbau der Ausstellung)

 

Die Raum-Zeit Falte ist auch Inspirationsquelle der sich noch in Entwicklung befindlichen Klangarbeit „Ein- und Ausfaltung einer Oktave“. Aus der Partitur zu Schumanns „Träumerei“ ist eine Oktave weggefaltet. Der Pianist Ueli Engeli spielte sowohl die verbliebenen Noten wie auch die herausgefaltete Oktave einzeln. Diese von einander getrennt aufgenommenen Teile der  Partitur erklingen nun über zwei Lautsprecherboxen; je nach Standpunkt hört man den einen oder den anderen Teil oder beide.  Das Hörerlebnis ist ein äusserst ungewohntes, einzelne vertraute Klänge wechseln mit befremdenden Disharmonien. Die Musik fügt sich also nicht etwa wieder in Einklang zu einem Ganzen zusammen, sondern bleibt disparat, die auseinandergefalteten Klangräume sind sich nahe aber nicht mehr kongruent. In ihrer Installation wechselt der Betrachter durch seine eigene Bewegung vom einen zum anderen Teil der Komposition, von der einen in die andere Welt, durchschreitet den Zwischenraum ohne den Moment des Übergangs genau bestimmen zu können.

 

Ein Erlebnis, das in der Arbeit „Duett“ scheinbar leichter zu erfahren ist, da man selbst und physisch direkt und spielerisch mit der Bewegung auf dem Brett die Glühbirnen beeinflussen kann. Doch da es unmöglich ist, beide Lampen gleichzeitig im Auge zu behalten, bleibt der Wechsel zwischen den Welten auch hier in erster Linie der eigenen Vorstellungskraft anheim gelassen. Man weiss von der andern Seite, man kann sogar gleichzeitig in beiden stehen und doch nicht beide gleichzeitig sehen.  Ein Dilemma, das zum Nachdenken anregt.

 

So scheinen mir die Theorien der Astrophysik der Künstlerin weniger als Inhalt oder Motiv, sondern eher als Modell für existentielle Erfahrungen zu dienen. Das Bewusstsein anderer, nicht genau bestimmbarer Dimensionen, und sei es im täglichen Leben die Begegnung mit einem anderen Menschen, der zugleich nahe und vertraut, wie auch distanziert und fremd sein kann, das Bewusstsein auch, dass unsere, mit den Sinnen wahrnehmbare Welt nur ein kleiner Ausschnitt eines unvorstellbaren aber doch ersehnten oder erahnten Ganzen sein kann, wird in diesen Werken auf spielerisch humorvolle wie poetische Weise erfahrbar.

 

Beide Künstlerinnen führen uns auf eine abenteuerliche Reise durch Zeit und Raum, Wahrnehmung und Vorstellung, Fantastereien und Erkenntnis.

 

Corinne Schatz, 24.2.2011 (Vernissagenrede)